Namenspatron

Die wenigsten Menschen denken wirklich; sie leben hauptsächlich aus ihren Vorstellungen und meinen, das wären Gedanken.

Albertus Magnus

Ein mittelalterlicher Intellektueller als Namenspatron eines modernen Gymnasiums?

Was zunächst befremdlich scheint, wird verständlich, ja sogar naheliegend, wenn man die vielfältigen Interessen Alberts selbst und den historischen Hintergrund seines Wirkens betrachtet.

Einführung in Leben und Denken des Albertus Magnus

Wissenswertes über unseren Namenspatron

Die folgende Zusammenstellung basiert auf einem im Juni 2018 gehaltenen Vortrag.

Autorenteam: Elenia Marburger und Tessa Balzer (Juni 2018)

Fachliche Betreuung: Dr. Oliver Münsch

Bilder: Franka Busse (2019)

Albertus Magnus - ein mittelalterlicher Intellektueller als Namenspatron für ein modernes Gymnasium

1. Einführung

1.1 Wer war Albertus Magnus?

magnus in magia maior in philosophia maximus in theologia
magnus philosophus doctor exellentissimus doctor universalis

 

1.2 Kurzbeschreibung

  • Albert „der Große“
  • 1200 geboren in Lauingen
  • 1280 gestorben in Köln
  • Heiliger, Dominikaner, Bischof von Regensburg, Philosoph, Naturforscher
  • Kirchenlehrer (Lehrer des Thomas von Aquin)

1.3 Historischer Kontext: Voraussetzungen und Entwicklungen im 12./13. Jahrhundert:

  • Drei-Stände-Gesellschaft
  • Herausbildung des Ritterstandes; Burgenbau
  • rasches Bevölkerungswachstum führt zu vielen Städtegründungen
  • wirtschaftlicher Aufschwung (Dreifelderwirtschaft)
  • Städte als ökonomische und kulturelle Zentren
  • wachsendes Selbstbewusstsein der Bauern
  • neue Mönchsorden - Dominikaner und Franziskaner (Bettelorden)
  • politischer Konflikt Staufer ↔ Welfen
  • Bildung und Wissenschaften:
    • Domschulen und erste Universitäten
    • neues Verständnis der Wissenschaften
    • Vernunft und Glaube als Mittel zur Vermehrung der Einsichten

 

„Ich glaube, um zu verstehen“.

Anselm von Canterbury: Credo, ut intellegam

 

„Man darf nichts glauben, was man nicht zuvor verstanden hat“.

Petrus Abaelardus: Nihil credendum (est), nisi quod prius intellectum (est)

2. Alberts Biografie

2.1 Tabellarischer Lebenslauf

Zeit Werdegang

1200

Geburt in Lauingen
stammte aus schwäbischer Ministerialienfamilie

ab 1222

Studium in Padua (artes liberales, evtl. Medizin)
erwarb Kenntnisse ethischer und naturwissen-
schaftlicher Schriften des Aristoteles

1223

Eintritt in den Dominikanerorden
Theologiestudium in Köln

1233

lehrte an Ordensschulen
- bildete Mönche theologisch aus
- war Lektor
- arbeitete an eigenen Werken

1243/44

sein Ordensmeister schickte ihn an die Pariser Universität (Promotionsstudium)

1242-1245

Vollendung der Frühschriften (De sacramentis, De incarnatione, De resurrectione, De IV coaequaevis, De homine, De bono)

1245

Doktorwürde
lehrte Theologie in Paris

1248

Rückkehr nach Köln mit seinem Schüler Thomas von Aquin (Aufbau eines „Studium generale“)
Vorlesungen (u.a. über die „Nikomachische Ethik“ des Aristoteles)
Beginn der Kommentierung vieler Werke des Aristoteles und biblischer Bücher

1252

„Kleiner Schiedsspruch“ in Köln (Albert trat als Streitschlichter auf)

1254

Ernennung zum Provinzial (Oberaufseher) der Ordensprovinz Teutonia

1256/57

Aufenthalt an der päpstlichen Kurie in Anagni
Verteidigung des Dominikanerordens

1257/60

Entpflichtung vom Amt des Provinzials
Lektor in Köln
„Großer Schied“ (Albert erneut Streitschlichter)
Mitwirkung an einer neuen Studienordnung für Dominikaner (auch nichttheologische Fächer)

1260/62

Ernennung zum Bischof von Regensburg (auf Wunsch des Ordensgenerals)
- 1262 Entpflichtung vom Amt

1263

Papst Urban IV. ernannte ihn zum Kreuzzugsprediger für Deutschland

1264

Albert legte das Amt des Kreuzzugspredigers nieder

1264-1269

lebte in Würzburg, seit 1267 in Straßburg
lehrte an Klosterschulen der Dominikaner
verfasste weitere Schriften, vor allem Bibelkommentare

1270

Schlichter im Streit zwischen Erzbischof und Bürgern in Köln
dort Tätigkeit als Lehrer

1274

vermutlich Teilnahme am Konzil von Lyon

1277

verteidigte die Lehre seines Schülers Thomas von Aquin in Paris

1279

verfasste sein Testament

1280

Tod am 15. November
Beisetzung in der Kölner Dominikanerkirche

 

2.2 Seine wichtigsten Schriften:

  • De sacramentis (Sakramente)

  • De incarnatione (Menschwerdung Christi)

  • De resurrectione (Auferstehung)

  • De animalibus (Tiere)

  • De homine (Mensch)

  • De bono (Das Gute)

2.3 Seine wichtigsten Kommentare:

  • zu den „Sentenzen“ des Petrus Lombardus

  • zu allen damals bekannten Werken des Aristoteles

  • zu Büchern der Bibel2. Alberts Biografie: Werke

3. Alberts Denken

3.1 Ausgangssituation

Verbot von Aristoteles-Texten, da sie im Widerspruch zu Aussagen der Bibel und zu Augustinus standen
→ Albert überwand das Verbot, indem er zwischen Theologie als Wissenschaft (scientia) und Theologie als Lehre (doctrina) unterschied.

Theologie ...

  • wird aus dem Glauben gewonnen
  • ist Weisheit und freie Wissenschaft
  • ist nicht anderen Wissenschaften untergeordnet
  • vereint verschiedene philosophische Bereiche in einer Wissenschaft

Folge: Die wissenschaftliche Untersuchung der Natur ist möglich, ohne mit der Theologie in Widerspruch zu geraten!


3.2 Wie gelang es Albert, Glauben und Naturwissenschaft zu verknüpfen?

„In der Naturforschung haben wir nicht zu untersuchen, ob und wie der Schöpfer-Gott nach seinem vollkommen freien Willen durch unmittelbares Eingreifen sich seiner Geschöpfe bedient, um durch ein Wunder seine Allmacht kundzutun. Wir haben vielmehr einzig und allein zu erforschen, was im Bereich der Natur durch natureigene Kräfte auf natürliche Weise alles möglich ist.“

(De caelo et mundo I 4, 10 [Opera omnia V, 1, S. 103]; dt. in: R ÖD , Weg der Philosophie 1, S. 342) 

„Wenn nun jemand einwendet, der Naturprozess könne dereinst durch Gottes Willen zum Stillstand kommen (...), dann halte ich dem entgegen, dass ich von Wundern Gottes nichts wissen will, solange ich Naturkunde betreibe.“

(De generatione et corruptione I 1, 22 [Opera omnia V, 2, S. 129]; dt. in: S ÖDER , Autorität, S. 136)

 

3.3 Alberts Verständnis vom Menschen:

  • homo inquantum homo est solus intellectus → intellektuelle Tätigkeit ist charakteristisch für den Menschen
  • Vervollkommnung der Tugenden als Lebensaufgabe
  • Mensch ist definiert durch Vernunft und freien Willen
  • Erkenntnisprozess durch wissenschaftliches Studium
  • Selbsterkenntnis durch natürliche Wissbegierde (studiositas)
  • ganzheitliches und existenzielles Bildungskonzept

Parallelen zum heutigen Bildungsideal

 

4. Philosophische Grundlage:

4.1 Aristoteles

  • lebte 384-322 v. Chr. in Athen; Lehrer Alexanders des Großen
  • gründete eine eigene Schule (Lykeion)
  • befasste sich vor allem mit Logik und Naturlehre
  • kein Wissen ohne Begriffe; Hauptgegenstand: die Wirklichkeit
  • Systematisierung der Philosophie
  • Ziel allen Handelns ist die Vollkommenheit der Tugend

Ziel: Albertus Magnus versuchte, Aristoteles‘ rational-philosophisches Weltbild mit dem christlich-theologischen zu vereinen.

Durch den arabischsprachigen Gelehrten Averroes (1126-1198), der in Andalusien lebte und Aristoteles‘ Werk „Über die Seele“ kommentierte, sowie durch lateinische Übersetzungen seines Kommentars wurde die Philosophie des Aristoteles im Westen zugänglich.

Zu Beginn des 13. Jahrhunderts wuchs das Interesse an Aristoteles, dessen Werke aber von der Kirche verboten worden waren, da sich seine Philosophie nicht mit der christlichen Lehre und den Gedanken des Kirchenvaters Augustinus vertrug.

Schließlich entschied der Papst, die Integration des griechisch-arabischen Wissens in die westliche Gelehrtenwelt zuzulassen. Dass diese Integration im Laufe des 13. Jahrhunderts gelang, war vor allem die Leistung des Albertus Magnus und des Thomas von Aquin.

4.2 Scholastik

  • viele Anregungen durch aristotelische Schriften
  • Vereinigung von Vernunft und Theologie
  • neue wissenschaftliche Methode zur Problemschöpfung, Denkanregung, Stellungnahme
     
    1. lectio: Lesung, Kommentierung eines Textes durch Magister
    2. quaestio: Infragestellung der Autorität
    3. disputatio: wissenschaftliche Erörterung des Für und Wider
    4. conclusio / solutio: Verkündung des Ergebnisses
       

„So ist der Intellektuelle, der sich der Scholastik bedient, nicht mehr ein einfacher Textinterpret, sondern ein Schöpfer von Problemen, die seine Überlegung heraus-
fordern, sein Denken anregen und ihn zu einer Stellungnahme veranlassen.“

(L E G OFF , Hochmittelalter, S. 258)

5. Fazit: Mensch, Bildung und Wissenschaft bei Albertus Magnus

  • Der Mensch muss sich lebenslang bilden; intellektuelle Tätigkeit ist charakteristisch für die menschliche Existenz.
  • Ziel des Menschen ist das sittlich Gute; die Pefektion der Tugenden wird erreicht durch Erfahrung und praktisches Handeln.
  • Leib und Seele konstituieren die menschliche Natur.
  • Die Erkenntnis der Wahrheit ist ein Prozess, in dessen Verlauf der Mensch von Sinneseindrücken zu abstrakten Verstandesbegriffen gelangt; dies geschieht durch wissenschaftliches Studium.
  • Alberts Vorstellung von Bildung ist eine ganzheitliche und existenzielle: Der Mensch ist nicht nur zu Einzelbeobachtungen fähig, sondern kann auch Ursachen und allgemeine Prinzipien erkennen.
  • Im Erkenntnisprozess schreitet der Mensch fort zur Selbsterkenntnis, womit sich sein natürliches Verlangen nach Wissen (so schon Aristoteles!) erfüllt, und zum höchsten Glück.
  • Mit dem Wissenschaftsbegriff des Aristoteles gelangte Albert zu einer neuen Konzeption der Theologie. Zugleich systematisierte er die Wissenschaften, begründete sie theoretisch, erschloss einzelne Disziplinen und beeinflusste deren Entwicklung.
  • Albert forderte die Freiheit der Forschung und erkannte jeder Disziplin einen Eigenwert zu.

Erstmals in der Geschichte des abendländischen Denkens beschrieb er das Prinzip der Wissenschaftlichkeit für die Suche nach der Wahrheit:

„In Fragen des Glaubens und der Sitten muss man Augustinus mehr glauben als den Philosophen, wenn beide uneins sind; aber wenn wir von Medizin reden, halte ich mich an Galen und Hippokrates; wenn es um die Natur der Dinge geht, wende ich mich an Aristoteles oder an einen anderen, der sich auf diesem Gebiet auskennt.“

(Super II Sententiarum, distinctio 13 a. 2; dt. in: C HENU , Thomas von Aquin, S. 26) 

6. Nachwirkung

  • Schon Zeitgenossen und Schüler Alberts nannten ihn „den Großen“ und verliehen ihm den Ehrentitel doctor universalis.
  • Für den Verfasser des Magnum Chronicon Belgicum aus dem späten 15. Jahrhundert war Albertus magnus in magia, maior in philosophia, maximus in theologia (magia = Naturwissenschaften, speziell die Alchemie). Albert wird an erster Stelle unter den Gelehrten des 13. Jahrhunderts genannt und als doctor excellentissimus und magnus philosophus bezeichnet.
  • Im 15. Jahrhundert wurde Albert in der Kölner Region verehrt, 1622 von Papst Gregor XV. seliggesprochen.
  • Die Heiligsprechung Alberts nahm Papst Pius XI. 1931 vor, der ihn auch zum Kirchenlehrer erhob.
  • Seit 1941 gilt Albert als Schutzpatron der Naturwissenschaftler. Zugleich wird er auch als Patron der Theologen, Philosophen, Studenten und Bergleute sowie seiner Geburtsstadt Lauingen verehrt.

Zitate über Albert Magnus

Die Zitate des Papstes über Albertus Magnus stammen aus der Bulle In thesauris sapientiae Papst Pius XI. zur Heiligsprechung des Albertus Magnus vom 16. Dezember 1931
lateinischer Text: Acta Apostolicae Sedis. Bd. 24, Città del Vaticano 1932, S. 1-17.

Übersetzung A: Bulle Papst Pius XI. über die Heiligsprechung Alberts des Großen, Vechta 1932, S. 1-16 (online unter http://www.kathpedia.com/index.php?title=In_thesauris_sapientiae [13.03.2019];

Übersetzung B: Oliver Münsch

1) Ipse suo praeclarissimo exemplo omnes admonet, inter scientiam et fidem, veritatem inter et bonum, inter doctrinam et sanctitatem, nullam exsistere oppositionem, intimam potius cohaesionem adesse.

A Albert „ist allen ein mahnendes, hell strahlendes Vorbild, dass Wissenschaft und Glauben, Wahrheit und Güte, Heiligkeit und Gelehrsamkeit sich nicht widersprechen, sondern dass zwischen ihnen ein tiefinnerlicher Zusammenhang besteht.“

B Albert „mahnt alle durch sein eigenes, hell leuchtendes Vorbild, dass zwischen Wissenschaft und Glauben, zwischen der Wahrheit und dem Guten, zwischen Gelehrsamkeit und Heiligkeit kein Gegensatz besteht, sondern vielmehr ein sehr enger Zusammenhang.“

2) Sed ad spiritualia et supernaturalia ascendit, omnium scientiarum concordem, iuxta tamen subiecta varie sibi subordinata, coordinationem statuens, ab inanimatis ad viventia, a viventibus ad spirituales creaturas, a spiritibus ad Deum mire progrediens.

A „Geradlinig steigt er empor zur Welt des Geistigen und Übernatürlichen und stellt so die harmonische Einheit aller Wissenschaften her, ordnet sie nach ihrem Gegenstand und weist in wunderbarer Weise aufwärts, vom Unbelebten zum Belebten, vom Belebten zum Geistwesen, und vom Geistwesen zu Gott.“

B „Zum Geistigen und Übernatürlichen stieg er hinauf, stellte dabei die harmonische Einheit aller Wissenschaften her, nachdem er sie weiter unterteilt und so geordnet hatte, und schritt auf wunderbare Weise voran vom Unbelebten zum Belebten, vom Belebten zu den vom Geist erfüllten Wesen und von den Geistwesen zu Gott.“

3) Igitur ad fores sapientiae excubans, ita inter aequales excelluit, ut omnium saecularium scientiarum vertices facillime apprehenderet.

A „In seinem Wissensdrang übertraf er alle seine Zeitgenossen und erklomm die höchsten Gipfel der weltlichen Wissenschaft.“

B „Folglich hielt er Wache an den Türen der Weisheit und ragte so unter seinen Zeitgenossen heraus, dass er die Gipfel aller weltlichen Wissenschaften sehr leicht erreichte.“

4) Hoc autem potissimum est mentione dignum, quod veteris quemque sapientiae florem laboriosissimo studio ipse collegit, et quidquid veritatis humana ratio innata vi acute investigaverat, expurgatis quidem erroribus, subtiliter meditatus est, atque ad fidei veritatem illustrandam eamque a variis impugnationibus tuendam saepe feliciter adhibuit.

A „Vor allem aber ist es Alberts Verdienst, die Ergebnisse der alten Philosophie mit ganz außerordentlicher Mühe und Umsicht gesammelt zu haben. Er hat sie sorgfältig auf ihren Wahrheitsgehalt geprüft, von Irrtümern befreit und in geschickter Weise zur Begründung und Verteidigung der Glaubenswahrheiten herangezogen.“

B „Vor allem aber ist erwähnenswert, dass er jede Blüte der alten Weisheit mit überaus großem Arbeitseifer sammelte und dass er, was auch immer an Wahrheit die menschliche Vernunft durch ihre angeborene Kraft scharfsinnig erforscht hatte, von Irrtümern reinigte, dann gründlich überdachte und oft zur Erläuterung der Glaubenswahrheit sowie zu ihrer Verteidigung gegen vielfältige Angriffe in glückbringender Weise heranzog.“

Als Universitäts- und Klosterschullehrer erkannte Albertus Magnus den Wert des gemeinschaftlichen Lernens, das er selbst einmal so beschrieb:

„In angenehmer Gemeinschaftsarbeit die Wahrheit suchen“

Im lateinischen Original heißt es in "dulcedine societatis quaerere veritatem."

Commentarius in Aristotelis libros Politicorum, VIII 804

Vor diesem Hintergrund ist es naheliegend, dass Albertus Magnus zum Namenspatron von Gymnasien und Bildungseinrichtungen wurde – und das nicht nur in Ettlingen, sondern auch in Köln, St. Ingbert, Stuttgart, Regensburg, Viernheim, Bensberg, Friesoythe, Viersen-Dülken, Rottweil, Beckum, Bologna, San Sebastián, Bordeaux, Santiago de Chile ...

Quellen